Karriereknick für bessere Lebensqualität

Schneller, weiter, höher: Den Gedanken an Karriere verbinden viele mit einem möglichst steilen Aufstieg. Auf dem Weg in die oberste Etage begleiten einen Erfolg, ein wachsendes Gehalt und nicht selten ein Firmenwagen. Für Generationen von Berufstätigen ist die Beförderung das, was die Möhre für den Esel ist: die Motivation für den nächsten Schritt. Und doch spielen immer mehr Menschen mit dem Gedanken, kürzerzutreten oder ganz auszusteigen. Sie wollen nicht länger fremdbestimmt einem Lebensziel folgen, das nicht mehr als zeitgemäß gilt. Selbstverwirklichung, Work-Life-Balance und Gesundheit haben einen viel höheren Stellenwert als noch vor einigen Jahren. Downshifting, auch Downgrading genannt, beschreibt das Phänomen, einen Karriereknick zugunsten wertvoller Lebenszeit und Zufriedenheit in Kauf zu nehmen.

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Ist Karriere ein Generationen-Ding?

Über viele Generationen hinweg galt eine blendende Karriere als das Lebensziel schlechthin. Die 50er-Jahre, mit ihrem Wirtschaftswunder, haben die Grundmauern für ein Rekordwachstum gefestigt, das nicht nur Wohlstand mit sich brachte, sondern auch Ansehen mit beruflichem Erfolg gleichsetzte. Auto, Haus und ein Sparkonto zeugten von Pflichterfüllung und Einsatz. Fragen nach dem Nachwuchs beantworteten Eltern oftmals mit der beruflichen Laufbahn. Die persönliche Entwicklung war weniger wichtig. In der Boomer-Generation standen junge Menschen vor der Herausforderung, überhaupt erst einmal einen Ausbildungsplatz zu finden. Ein sicherer Arbeitgeber war der Jackpot und garantierte ein geregeltes Einkommen bis zur Rente. Mit Fleiß, Geschick und Firmentreue stand einer Karriere in ein und demselben Unternehmen nichts mehr im Wege. 

Etwas später dann galt es nicht länger als Auszeichnung, sein Leben lang einem einzigen Unternehmen die Treue zu halten. Karrieresprünge gelangen am besten, wenn dabei der Arbeitgeber gewechselt wurde. Die Komfortzone verlassen, Neues wagen – wer vorankommen wollte, musste sich verändern. Seit einigen Jahren macht sich ein zunehmender Fachkräftemangel bemerkbar. In der Konsequenz hat sich der Arbeitsmarkt verändert, Unternehmen suchen gute Mitarbeiter und müssen sich als attraktive Arbeitgeber beweisen. Work-Life-Balance, New Work, Job Crafting und andere moderne Begriffe haben Einzug in das Vokabular der Personalabteilungen gefunden. Die Coronapandemie wurde zum Treiber für neue Arbeitsmodelle. Viele Arbeitnehmer haben bemerkt, dass auch beispielsweise 67 % des ursprünglichen Gehaltes, verbunden mit mehr Freizeit und Selbstverwirklichung, viel bieten können. Ist weniger also mehr und wie viel weniger können Sie sich erlauben?

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Lebenskarriere vs. Selbstverwirklichung

Manche Menschen sehen ihre Kollegen und den Vorgesetzten wesentlich häufiger als die eigene Familie. Wer in Vollzeit arbeitet, verbringt zwischen 37,5 und 40 Stunden wöchentlich am Arbeitsplatz. Dazu kommen An- und Abfahrt, Pausenzeiten und Überstunden. Die restliche Zeit teilt sich zwischen Schlafen, Care-Arbeit, Haushalt, Hobbys und dem sozialen Umfeld auf. Der Suchbegriff Mental Load ergibt bei Google fast eine Milliarde Ergebnisse. Viele Menschen fühlen sich überfordert von all den großen und kleinen Aufgaben des Alltags. Perfektionisten kapitulieren oftmals als Erste. Der Weg aus der Überforderung kann das Privatleben einschränken oder aber darin bestehen, beruflich einen Schritt zurückzugehen.

Eine Frau und ein Mann in einer Gesprächssituation im Büro
Eine Frau und ein Mann in einer Gesprächssituation im Büro

Bereits der Gedanke an die Konsequenzen des Kürzertretens beunruhigt. Wie kann der Rückschritt finanziert werden? Was sagt mein Chef dazu? Verliere ich den Job oder kann ich einfach nur einige Aufgaben delegieren und eine 4-Tage-Woche fordern? Steht meine Familie hinter mir? Downgrading bedeutet nicht automatisch den völligen Abschied aus der beruflichen Laufbahn. Statt sich also als Aussteiger im tropischen Regenwald oder in einer Berghütte im skandinavischen Winter wiederzufinden, stehen auch moderate Alternativen zur Wahl – immer vorausgesetzt, der Arbeitgeber spielt mit.

Karriere und Lebensverwirklichung sind längst keine gegensätzlichen Lebensmodelle mehr. Tatsächlich gibt es viel mehr als Schwarz oder Weiß. In der Grauzone tummeln sich bunte Alternativen, die unser Leben bereichern können. Statt also bis zum Burn-out im Hamsterrad festzustecken, kann es durchaus reizvoll sein, die Geschwindigkeit zu drosseln oder sogar die Reißleine zu ziehen. Die Möglichkeiten sind da, auch wenn Arbeitgeber und Umfeld im ersten Moment irritiert reagieren.

Mann sitzt auf der Couch und arbeitet von zu Hause aus am Laptop.
Mann sitzt auf der Couch und arbeitet von zu Hause aus am Laptop.

Downgrading – Schwäche oder Stärke?

Downshifting wird häufig als Schwäche wahrgenommen. Wer sich gegen die Karriere entscheidet, hat vermeintlich nicht die Power oder das Durchhaltevermögen für den anspruchsvollen nächsten Posten auf der Karriereleiter. Mangelndes Talent oder Know-how und Scheitern bei der Führungsverantwortung werden schnell unterstellt, wenn Arbeitnehmer eigentlich nur weniger Zeit in den Job investieren wollen und sich mehr Selbstbestimmung wünschen. Downgrader befürchten auch im privaten oder familiären Umfeld einen Gesichtsverlust. Tatsächlich geht ein Verzicht auf beruflichen Aufstieg vielfach mit Unverständnis einher. Umso wichtiger ist es, sich von vornherein über die eigenen Ziele und Wünsche im Klaren zu sein. So schafft man es, mit den Zweifeln und der Kritik von Freunden und Familie gut umzugehen und sich selbst treu zu bleiben.

 

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Downshifting, ja/nein?

Der Schritt vom Karrieremenschen zum Downshifter erscheint im ersten Moment recht groß. Nicht nur die finanzielle Lage ändert sich, indem am Ende des Monats weniger Gehalt auf das eigene Konto fließt. Es ist auch ein Statement. Mehr Zeit für sich selbst, seine Familie oder persönliche Ziele an erste Stelle zu setzen und gleichzeitig weniger Interesse an der Karriereleiter zu haben. Denn die Beförderungen werden in der Regel dem Mitarbeiter gewährt, der sich mit vollem Einsatz für das Unternehmen engagiert. Das ist meist nicht derjenige, der seine Wochenstunden reduziert. Doch: Die Berufswelt ist in einem starken Wandel. Was bisher so war, muss nicht zwangsläufig so bleiben, denn auch Unternehmen und Entscheider machen immer mehr die Erfahrung, dass mehr Arbeitsstunden nicht zwangsläufig zu mehr oder einem besseren Output führen.

Wer mit dem Gedanken des Downshiftings spielt, sollte sich im Vorfeld diese Fragen beantworten und herausfinden, ob es zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll ist: 

  1. Sind Sie zufrieden mit Ihrem Job?
  2. Bringt Ihre Arbeit Sie Ihren persönlichen Zielen näher?
  3. Bleibt genügend Zeit für private Interessen?
  4. Werden Sie Familie und Beruf gerecht, ohne sich selbst dabei zu verlieren? 
  5. Zeigt der Stress bereits erste gesundheitliche Auswirkungen?
  6. Bleibt Platz für Ihre Träume?
  7. Was möchten Sie beruflich noch erreichen?
  8. Kann Ihre Stelle auch in Teilzeit oder mit Jobsharing ausgeübt werden?

Möglichkeiten im Berufsleben

Wer sich ernsthaft mit den Möglichkeiten beschäftigt, sollte auch über den Tellerrand schauen und alte Gewohnheiten infrage stellen. Nach den Auswirkungen auf das Privatleben kommt die berufliche Alternative ins Spiel. 

  • Welche beruflichen Ziele möchten Sie noch erreichen?
  • Ist es der Wunsch nach einem neuen Job mit weniger Verantwortung – vielleicht sogar beim selben Arbeitgeber? 
  • Möchten Sie eine komplett andere Branche kennenlernen? 
  • Möchten Sie eine neue Ausbildung machen oder eine Auszeit nehmen? 

Als Nächstes steht also entweder ein Gespräch mit dem direkten Vorgesetzten oder die aktive Suche nach einem neuen Arbeitgeber an. 

Auswirkungen auf das Privatleben

Der Wunsch nach einem Downgrading kommt in der Regel nicht von heute auf morgen, daher sollten Sie Ihren Partner oder die Familie bei der Planung mit einbeziehen. Am besten machen Sie sich gemeinsam Gedanken über Dinge wie:

  • Was wünschen wir uns als Paar oder als Familie und kann Downshifting die Lösung sein?
  • Welche Schritte müssen vom ersten Wunsch nach Downshifting bis zur Realisierung gegangen werden? 
  • Mit welchen finanziellen Einschränkungen müssen wir rechnen? Sind sie tragbar oder ändert sich unser Lebensstandard dadurch zu sehr? 

Mit dem Downshifting verändert sich auch das Einkommen. Mit zunehmendem Gehalt steigen Steuersatz und Abgaben, umgekehrt reduziert sich mit geringerem Einkommen die Differenz zwischen Brutto- und Nettogehalt.

Tipp

Mit unserem Rechner für Gehaltserhöhungen können Sie auch die Auswirkungen eines niedrigeren Bruttogehalts auf Ihr Netto ermitteln.

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Außerdem kann es sein, dass Sie in der gesetzlichen Krankenkasse versicherungspflichtig werden, falls Sie vorher privat versichert waren. Wenn Sie weniger arbeiten, erhalten Sie später zudem weniger Rente. Behalten Sie diese Dinge im Hinterkopf und überlegen Sie sich Lösungen dafür. Am besten beginnen Sie zunächst mit einer Aufstellung Ihrer Fixkosten:

  • Miete
  • Kosten für Energie und Telefonie/Internet
  • Fahrtkosten zum Arbeitgeber
  • Kita-Betreuung für den Ganztagesplatz
  • Kredite
  • Versicherungen

Nun können Sie überlegen, wo Sie einsparen können und ob Downshifting im Moment für Sie in Frage kommt. Dabei helfen Ihnen diese Fragen:

  • Besteht eine finanzielle Reserve für den Notfall? 
  • Kommt ein Umzug in eine kleinere Wohnung infrage? 
  • Kann das Auto verkauft werden, wenn der aktuelle Job gegen einen anderen in der Nähe getauscht wird? 
  • Kann die Kinderbetreuung in der Kita reduziert werden, wenn Sie weniger arbeiten?
  • Können Sie mit Ihrem Know-How ein passives Einkommen generieren (z. B. durch Wertpapiere, Immobilien, Online Produkte etc.)?

Beförderung ablehnen?

Ihnen wird eine Beförderung angeboten, die Sie eigentlich gar nicht möchten? Lesen Sie, wie Sie eine Beförderung ablehnen, ohne Nachteile zu riskieren. 

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7 gute Gründe, kürzerzutreten

Der Wunsch nach einem beruflichen Downgrading kann unterschiedliche Ursachen haben. Je nach Alter, Familienstand, Anspruch und Typ ändern sich Ziele im Leben, aber auch die Sicht auf die Umwelt. Menschen reagieren auf äußere Einflüsse und werden aktiv. 

Die häufigsten Gründe für ein Downshifting:

Es gibt auch Situationen, in denen das Downshifting nicht ganz freiwillig eingeläutet wird. Das kann zum Beispiel bei einer Degradierung der Fall sein. Wenn der Arbeitgeber bestimmt, dass eine ehemalige Führungskraft zum einfachen Mitarbeiter herabgestuft wird, ist dies eine fremdbestimmte Entwicklung, die – wenn sie akzeptiert wird – auch Vorteile haben kann.

Ganz gleich aus welchen Grund Sie beruflich kürzer treten, diese Veränderung ist ein guter Anlass, um Ihren Arbeitgeber um ein Zwischenzeugnis zu bitten.

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Downshifting – Wie sag' ich's dem Chef?

Personalabteilungen und Vorgesetzte sind mit dem Wunsch nach einem Downshifting oftmals überfordert, denn er bringt die konkrete Herausforderung mit sich, eine betriebliche Lösung zu finden. 

  • Wer übernimmt die fehlenden Stunden? 
  • Steht überhaupt ein passender Kandidat für den Posten zur Verfügung? 
  • Muss die Stelle neu ausgeschrieben werden und welche Kosten entstehen dadurch?

Deshalb ist eine schlüssige und selbstbewusste Argumentation von Ihrer Seite gefragt. Zunächst sollten Sie schlüssig begründen können, weshalb Sie kürzer treten möchten. Achten Sie dabei darauf, dem Arbeitgeber keine Vorwürfe zu machen und positiv zu bleiben:

„Ich habe festgestellt, dass meine Tätigkeit mich nicht mehr gänzlich ausfüllt und dass sich meine Wünsche für mein Leben verändert haben. Deshalb möchte ich mit Ihnen darüber sprechen, wie wir meine Stelle so gestalten können, dass sie mir wieder mehr Freude bereitet.“

„Ich verbringe täglich sehr viel Zeit an der Arbeit, in der ich meine Kinder nicht sehe. Gerade jetzt ist aber eine wichtige Phase in ihrem Leben, weshalb ich mehr Zeit für meine Familie nehmen möchte.“

„In den letzten Jahren haben sich die Anforderungen in der Branche und im täglichen Arbeitsalltag sehr verändert und beschleunigt. Ich merke, dass ich häufig gestresst bin und zu Hause nicht abschalten kann. Deshalb möchte ich meine Stundenanzahl reduzieren, damit ich mehr Kraft aus meinem Privatleben schöpfen kann und meine Arbeit weiterhin gut machen kann.“

Wenn Sie schon die die Bedenken Ihres Vorgesetzten und die betrieblichen Herausforderungen ahnen, können Sie auch gleich Lösungen vorschlagen:

  • Haben Sie vielleicht einen Kollegen im Sinn, der Ihre Arbeit übernehmen könnte? Gibt es Kollegen, die aus der Elternzeit wiederkommen und mit denen Sie sich die Stelle teilen können?
  • Welche Vorteile bringt der Rückschritt dem Arbeitgeber?

Ein offenes Gespräch hat die beste Aussicht auf Erfolg. Dabei sollten sich Arbeitnehmer über ihr eigenes Potenzial bewusst sein und den Gewinn für das Unternehmen betonen. Der Wunsch nach einem Downgrading bedeutet keinen Imageschaden, im Gegenteil. Wer sich souverän für mehr Selbstbestimmung entscheidet, darf das auch klar kommunizieren.

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Downshifting im Bewerbungsgespräch

Im Bewerbungsgespräch werden Downshifter mit der Frage nach dem Warum konfrontiert. Wer sich aus einer höheren Position heraus auf einen weniger qualifizierten Job bewirbt, erntet Verwunderung beim Gegenüber. Statt schlecht über den aktuellen Arbeitgeber zu sprechen, lohnt der Hinweis auf eigene Ziele und Werte als Begründung für den Jobwechsel. Bewerber können Downshifting zum Beispiel mit veränderten Wertevorstellungen, die ein Engagement in einer gemeinnützigen Institution erfordern, oder dem Wunsch nach mehr Zeit für die Familie begründen. Damit erhält der potenzielle neue Arbeitgeber einen reellen Eindruck und verfällt nicht in Spekulationen.

Frauen, die sich in einem Büro unterhalten.
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Fragen und Antworten

Hier finden Sie die Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen.

Ruhestand vorbereiten

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